Madame version Allemand
Prosa
Rinatu COTI
stammt aus dem „Vallée du Taravu“, wo sich die Begebenheiten aus Madame (A Signora, Nucariu, ed. Cismonte è Pumonti, 1987) abspielen, er wurde 1944 in Ajaccio geboren. Seine intensive literarische Tätigkeit der letzten dreißig Jahre macht ihn zum schöpferisch größten Autor der korsischen Literatur mit einem dutzend Romanen, ebenso vielen Theaterstücken, mehreren Essais und drei Gedichtbänden. Es gibt keine literarische Zeitschrift, für die er nicht regelmäßig tätig wäre. Er arbeitete mit Pascal Marchetti an der Assimil-Methode „Le Corse sans peine“ mit, dem Teil, der den südlichen Sprachraum Korsikas betrifft (1975). Von 1983 bis 1994 zeichnete er verantwortlich für die Sammlung „Paroli sciolti“ beim Verlag Cismonte è Pimonti; bevor er 2002 den Verlag Matina Latina gründete. Seit 2001 ist er Chefredakteur der Zeitschrift U Taravu und seit 2003 Leiter der Publikationen.
Rinatu Coti knüpft ganz nah an die Oralität volkstümlicher Erzählungen und Szenen bäuerlichen Lebens an. Es gelingt es ihm hervorragend, die dörfliche Atmosphäre der Vergangenheit zu schildern und Dialoge zu restituieren, in denen Naturell mit Humor und sprichwörtlicher Weisheit rivalisiert. Sein Werk, sozial inspiriert, oft mit moralischem Wert, trotzdem gefällig, erhebt ihn in den Rang eines tiefsinnigen und köstlichen Fabeldichters.
Signora
Zi Petru, seiner Weisheit und Autorität wegen respektiert, ist bis zum Schloss hinaufgestiegen, um Signora Carulina zu begrüßen. Er kündigt ihr an, dass Tommasgiu auf dem Weg zur Kirche sei, um der Messe für den Schutzheiligen des Dorfes beizuwohnen. Carulina, aufgetakelt, in Schuhen mit hohen Absätzen, zieht aufgekratzt in Richtung Kirche los, als Zi Petru, der etwas später losgegangen ist, sie einholt und entdeckt, dass sie unfähig ist auch nur einen weiteren Schritt zu tun; Also beschließt er, sie auf seinem Rücken zu tragen, während der Dorfpfarrer auf sein Kommen wartet, um die Messe zu beginnen.
Eine nach der anderen, Schritt für Schritt hatte es Zi Petru geschafft, die 33 Stufen vom Kirchplatz heraufzusteigen. Er kannte sie in- und auswendig. Nicht, dass die Dame zu schwer für ihn war oder er zu gebrechlich, nein, das Problem war, dass Signora Carulina sich ohne Unterlass bewegte, schnaufte und rumzappelte. Um Haaresbreite hätte sie Zi Petru mit ihrem Finger ins Auge gebohrt.
Petru: Sehen Sie, Signora Carulina, wir haben es geschafft.
Carulina: Mit knapper Not. Da diese Sache nun erledigt ist, können wir endlich Luft holen.
Petru: Wir …Luft holen? Ich werde Luft holen. Wem von uns beiden hing die Zunge aus dem Hals, während Sie nach oben befördert wurden?
Carulina: Ihnen natürlich, daran ist nicht zu rütteln, Zi Petru, daran ist nicht zu rütteln
Petru: Eben, das hätte gerade noch gefehlt. Jetzt, wo wir endlich hier sind, werde ich Sie absetzen, damit Sie sich auf dem Mäuerchen des Platzes niederlassen.
Carulina: Bevor Sie mich absetzen, passen Sie auf, dass uns bloß keiner sieht. Mir zuliebe, mein lieber Herr, denn vom Brunnen bis hier oben sind wir niemandem begegnet.
Petru : Ob man Sie nun sieht oder nicht, was kann das jetzt schon noch heißen ? Mir reicht es
jetzt, ich setze Sie sofort ab. Ich bin doch kein Lasttier!
Zi Petru hatte also Signora Carulina, die jetzt aufgelöst auf dem Mäuerchen saß, heruntergelassen.
Im Kirchturm, läutete der Vikar, schweißgebadet, vorwurfsvoll die Glocken für die Nachzügler. Das Läuten nahm kein Ende, denn er wusste, dass es für ihn angenehmer war, sich im Kirchturm aufzuhalten, als am Altar beim launischen Pfarrer, der sich ihm gegenüber oft ungeduldig zeigte. Er hatte selbst arg mit ihm geschimpft. Übrigens hatten das auch die Kinder begriffen, auf die er tüchtig eingeschlagen hatte. Mit ihm war der Rohrstock nie weit entfernt.
In der Kirche ging es zu wie in einem Bienenstock, als wäre sie voll von Gesumme. Anfangs verhielten sich die Leute ruhig. Dann begannen sie leise zu reden. Und da sich alles in die Länge zog, wurden sie immer lauter, sprachen so, als wären sie draußen. Es lohnte sich ihnen zuzuhören, der eine verkaufte Käse, der andere machte Geschäfte. Außer einigen schwerhörigen Alten, die den Rosenkranz beteten, diskutierten alle.
Der Pfarrer war daran gewohnt, in seiner Kirche lautstark reden zu hören, ihm schien der Lärm nicht mehr viel auszumachen. Er gab sich eher konkreten Gedanken hin. Der Hunger machte sich bei ihm bemerkbar. Hin und wieder knurrte sein Magen. Selbst einen Kanten trockenen harten Brots ohne Belag hätte er jetzt gern zum Beißen gehabt. Doch das war ja unmöglich: erstens weil er kein Brot in der Hand hielt, nicht einmal eins in der Nähe hatte und weil er außerdem vor dem Ende der Messe nichts essen durfte. Er litt Höllenqualen. Er hing schwarzen Gedanken nach. Und sich vorzustellen, dass eine gewisse Dame der Blitz träfe, schien ihm nur eine gerechte Strafe des Allmächtigen.
Diese Dame hatte sich gerade mit dem Taschentuch das Gesicht abgewischt. Welch ein Desaster. Glücklicherweise besaß sie keinen Spiegel, um sich zu betrachten. Der Schweiß mit der Schminke vermischt hatte ihr Gesicht ganz verschmiert. Sie keuchte vor sich hin. Zi Petru tat so, als sähe er nichts. Aber er konnte nur schwer sein Lachen unterdrücken.
Petru : So, jetzt wird es Zeit, dass Sie sich ihre Schuhe anziehen. Einen Moment, ich bringe Sie ihnen.
Carulina : Meine Füße sind zu geschwollen. Hier, schauen Sie. Die passen in keine Schuhe mehr. Da kann ich versuchen, was ich will, es geht einfach nicht.
Petru : Das stimmt, da sind Sie jetzt aber fein heraus!
Carulina : Das ist die Strafe Gottes. Was mach’ ich denn bloß? Es gibt keinen Ausweg mehr für mich.
Petru : Doch, passen Sie auf, wir werden es so machen…ich werde dem Vikar auftragen, jemanden zu finden, der die Straße bis zur Schwelle der Kirche fegt.
Carulina : Aber wieso? Was ändert das jetzt, wo ich nicht mehr in meine Schuhe passe.
Petru: Nun lassen Sie mich doch ausreden. Anlässlich des Festes haben Sie unserem Schutzheiligen feierlich gelobt, die Kirche barfuss zu betreten. Und somit ist die Angelegenheit erledigt! Und davon bin ich überzeugt, werden Sie sich so sauber aus der Affäre ziehen können.
Carulina : Das scheint mir eine gute Idee. Wer auf Sie hört, Zi Petru, kann sich glücklich nennen.
Petru: Das haben Sie aber nicht immer gesagt; Signora Carulina
Carulina : Ich schwöre hiermit feierlich, dass ich in Zukunft immer auf Sie hören werde.
Petru: Wollen wir’s hoffen ! Aber langer Rede, kurzer Schluss, ich rufe Pater Ghjacumu. Pater Ghjacumu! Pater Ghjacumu!
Zi Petru hatte sich dem Glockenturm genähert, gerade als Pater Ghjacumu mit dem Läuten aufgehört hatte. Nachdem er ihn begrüßt hatte, erklärte Zi Petru ihm die Angelegenheit. Ohne Umschweife betrat Pater Ghjacumu durch die Seitentür die Kirche und kehrte mit zwei Buben, von dem jeder mit einem Besen versehen war, zu ihm zurück.
Aber zur gleichen Zeit zeigten sich einige Neugierige an der Eingangstür der Kirche. Und plötzlich und blitzschnell verbreitete sich die Neuigkeit, dass die Dame barfuss die Kirche betreten wollte.
Erklärungen dazu breiteten sich aus wie ein Lauffeuer : hier sagte man, dass die Dame für einige Bosheiten Abbitte tun wolle, dort erzählte man, dass sie nur darauf aus sei, von sich reden zu machen und sie es nur täte, um einige andere Damen auszustechen.
In Windeseile hatte sich die Kirche geleert. Und Signora Carulina, der die Gläubigen in Form einer Prozession folgten, zog barfuss in die Kirche ein. Die Kinder fegten den Weg frei…und die aufgewirbelte Staubwolke hätte Rom unter sich begraben können.
Der Vikar läutete die Messe ein, die Orgel setzte ein. Der Pfarrer stampfte umher und die Gläubigen traten auf der Stelle. Die Hundemeute heulte. Die Sonne schien, und Zi Petru lachte sich ins Fäustchen.
Die beiden Damen Brandulina de Muntichji und Anghjulina di Maratu hatten die Kirche vor lauter Stolz erst gar nicht verlassen. Sie waren davon überzeugt, dass Signora Carulina sich mit all ihrer Heuchelei nur in den Vordergrund spielen wollte, sie erhoben sich auch nicht aus ihren Betstühlen. Es war für sie unmöglich, sich wie der Pöbel nach draußen zu begeben. Doch ihre Blicke hätten töten können, aus ihren Augen schossen Blitze und ihre Zähne knirschten.
Signora Carulina frohlockte, als sie ihre Gegnerinnen kochen sah. Dank Zi Petru hatte sich die Geschichte mit den Schuhen günstig für sie ausgewirkt. Er war es, der ihre Niederlage in einen Sieg verwandelt hatte. Sie wusste, dass man noch lange von diesem Tag reden würde. Ja, man musste über ihn reden, aber Achtung, der Tag war ja noch nicht zu Ende.
Und jetzt, liebe Leser, die ihr die Geschichte vielleicht aufmerksam verfolgt; ihr fragt euch : Was wird wohl mit dieser Signora Carulina geschehen? Was wird der Schriftsteller wohl anzetteln, wird er es billigen, lässt er ihr weiter die Genugtuung des Triumphes? In der Bibel steht geschrieben: Gott zieht die Armen aus dem Schlamm und stößt die Reichen in den Schmutz.
Falls Sie es mir erlauben, werde ich auch auf diese Art verfahren, wenn auch nur in geschriebener Form.